Lesen macht Spaß – und kann noch so viel mehr! Über Stress-, Konzentrations- und Argumentationskompetenz und andere Vorzüge.

Die einen prophezeien den Niedergang der Lesekultur. Andere funktionalisieren sie als Fähigkeit der Informationsaufnahme und üben sich im Speedreading. Wieder andere sehen gerade aktuelle Gegenbewegungen, die sogar zu einer neuen Genregattung in der Buchbranche geführt haben: „Young & New Adult“-Bücher erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, #booktok sei dank.
„Deep reading“ statt „Speed reading” also. Lässt das nicht hoffen? Eine solche Entwicklung wäre nicht nur beruhigend für uns Büchermenschen, die wir vom Geschäft mit Büchern leben. Sie wäre gerade in Zeiten, in der die KI uns das Denken abgewöhnen will, gut für unsere Gesellschaft. Wir brauchen Menschen, die differenziert, reflektiert denken können und wollen. Lesen fördert diese Fähigkeiten in hohem Maß!
Deshalb habe ich mir genauer angeschaut, was das Lesen alles so kann. Welche Dienste es uns erweist. Das sind nicht wenige. Beim letzten Beitrag vor zwei Wochen habe ich einen Teil der Vorzüge dieser Kulturpraxis vorgestellt, die du hier nachlesen kannst. Heute folgt der zweite Teil.
Lesen ist Stressprophylaxe
Beginnen möchte ich mit einem Nachklapp zum Thema Entspannung, das ich beim letzten Beitrag schon angesprochen habe. Da Lesen entspannt, liegt es nahe, dass es auch eine perfekte Möglichkeit ist, seinen Stress loszuwerden. Wie deutlich dieser Effekt ist, zeigt eine Studie, die Claudia Hammond in ihrem Buch „Die Kunst des Ausruhens“ beschreibt.
Es wurden Menschen ausgewählt, die regelmäßig Tai-Chi praktizierten, und versetzte sie unter Stress. Etwa, indem man ihnen eine Stunde lang Videos mit Schreckensszenarien anschauen oder sie komplizierte Rechenaufgaben lösen ließ. Danach wurden sie in Gruppen geteilt. Die eine sollte danach eine Stunde meditieren, eine andere eine Stunde in flottem Tempo gehen, eine dritte sollte ein Buch lesen und eine vierte Gruppe sollte Tai-Chi üben.

Anhand verschiedener Körperdaten zeigte sich: Alle vier Entspannungsmöglichkeiten senkten das Niveau des Stresshormons Kortisol, doch beim Lesen und bei Tai-Chi sank es am meisten! Eine andere Studie kommt zum selben Ergebnis: Das Lesen von Büchern senkt den Stresspegel um bis zu 68 Prozent.*)
Konzentrationsprobleme? Dann lies!
Wir sind ständig erreichbar. Permanent erreichen uns Informationen und Nachrichten per E-Mail, Messenger-Dienste, Social Media, SMS, Anrufe und natürlich auch persönlich, wenn der Kollege vorbeischneit und uns auf dem Laufenden halten will. Dass das unserer Konzentration schadet, ist seit Jahren bewiesen.**)
All diese Kürzestnachrichten nehmen so viel Zeit in Anspruch, dass es das Lesen von Büchern verdrängt. Soll heißen: Die Fähigkeit, lange, zusammenhängende Texte zu lesen, geht verloren, und mit ihr unsere Konzentrationsfähigkeit.
Lesen von Büchern hingegen fördert die Konzentration. Warum das so ist? Weil Lesen ein ziemlich komplexer Vorgang im Gehirn ist. Wir müssen Buchstaben zu Wörtern und Wörter zu Sätzen zusammenfügen. Wir brauchen unsere Sprache samt Wortschatz, Grammatik und Interpunktion. Wir zapfen unser Wissen an und unsere Erinnerungen. Unser Gehirn speichert, was es gerade gelesen hat, und kombiniert es mit Emotionen.
Für all das brauchen wir die volle Aufmerksamkeit unseres Gehirns, respektive unseres Arbeitsgedächtnisses. Je besser du also in der Lage bist, lange Texte ohne Ablenkung zu lesen, desto besser wird deine Konzentrationsfähigkeit.

Lesen macht gesund
In unserem Buch „Raus aus der Hängematte, rein ins fitte Leben“ gibt es ein Kapitel über die Hirngesundheit, weil sie essenziell ist für ein gesundes und fittes langes Leben. Entspannung und Stressreduktion sind nur zwei der darin besprochenen Dinge, die unser Hirn regelmäßig braucht. Dass Lesen viel dazu beitragen kann, haben wir schon weiter oben besprochen.
Darüber hinaus verringert es die Chance, dement zu werden. Es gibt Untersuchungen, die beweisen, dass Menschen, die intellektuell aktiv bleiben, seltener daran erkranken.
Gleichzeitig hält Lesen ganz generell den natürlichen Alterungsprozess im Gehirn auf, der sich darin zeigt, dass man Informationen schlechter aufnehmen kann und der Wortschatz abnimmt. Das Lesen verbessert den Signalaustausch zwischen den verschiedenen Hirnregionen. Gut für unsere geistige Fitness!
Eloquenz, Sprachgefühl, Kreativität
Sprachförderung und Kreativität wird als Argument für die Leseförderung von Kindern herangezogen, und das aus gutem Grund. Doch das gilt genauso für Erwachsene. Wir brauchen unsere Sprache und unsere Kreativität unser Leben lang, im Beruf, für unsere persönliche Entwicklung, für die Lebensfreude. Ebenso lang müssen wir auch dafür trainieren.
Lesen regt die Fantasie an, erweitert den Wortschatz und das Gefühl für Sprache. Das bedeutet, dass wir besser erkennen können, was sprachlich korrekt oder angemessen ist. Unsere Ausdruckskraft wird besser und wir können in Diskussionen und Verhandlungen besser argumentieren. Menschen, die viel lesen, können auch spielerischer mit Sprache umgehen und Menschen mit ihren Erzählungen in ihren Bann ziehen.
Schreiben setzt Lesen voraus
Es klingt einleuchtend, dass alle, die gerne schreiben, unbedingt auch viel lesen sollten. Doch das scheint sich nicht bei allen herumgesprochen zu haben. Bei mir hat einmal vor vielen Jahren jemand angeklopft, der ein Buch schreiben und sich von mir dabei beraten lassen wollte. Seine Texte waren denkbar schlecht: Es fehlten Zusammenhänge, der Wortschatz war im Argen, von Argumentationsketten oder einem roten Faden war weit und breit nichts zu sehen. Und das bei einem Sachbuch.
„Was lesen Sie denn so?“, fragte ich ihn einmal so zwischendurch. „Ach, ich lese eigentlich überhaupt nicht“, sagte er. Damit war alles klar!

Nicht nur, dass Lesen dein Sprachgefühl verbessert, lernst du auch, besser auf den Punkt zu kommen. Das hilft dir nicht nur beim Bücherschreiben, sondern bei jedem Text, den du beruflich zu schreiben hast. Wenn wir viel lesen, lernen wir ganz automatisch, wie andere Autoren ihr Buch aufbauen, wie sie ihre Logik entwickeln. Wie sie Bilder in unsere Köpfe zaubern und es schaffen, uns ihre Geschichte oder auch Fachthema näherzubringen.
Lesen macht sexy
Angeblich macht Lesen sogar sexy. Laut einer Umfrage wirken Menschen, die in der Öffentlichkeit lesen, intelligenter. Ein Buch in der Hand mache sie attraktiver und begehrenswerter. Ob das tatsächlich so ist? Wer weiß. Aber es kann ja nicht schaden, auf jeden Fall ein Buch einzustecken, wenn du unterwegs bist.
*) https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/motivation/wie-gesund-ist-lesen-wirklich/ sowie die Ausführungen von Claudia Hammond S. 258 ff (Sie hat noch viel mehr Studien beschrieben, die die herausragende Wirkung von Lesen unterstreicht.)
**) Eine Buchempfehlung habe ich dazu: Johann Hari, Abgelenkt. Wie uns die Konzentration abhandenkam und wie wir sie zurückgewinnen, riva Verlag 2023