Gut leben mit dem inneren Perfektionisten

Perfektionistische Züge sind eine Plage, heißt es. Ja, sie können nerven und machen einem mitunter das Leben schwer. Sie können aber auch durchaus sinnvoll und nützlich sein!

Kürzlich wurde ich von einer Kollegin zum Thema Perfektionismus interviewt. Regina Kainz hat sich auf die Fahnen geheftet, Internetmarketing einfach zu machen und hilft anderen dabei. Dabei begegnet ihr natürlich der Perfektionismus ebenso wie mir im Coaching. Wir unterhielten uns über eigene Erfahrungen und darüber, wie man damit im Coaching (bei mir) und in der Beratung (bei ihr) gut weiterhelfen kann. Und wir waren uns einig darüber: Er macht uns oft das Leben schwer, aber ausschließlich böse ist er auch wieder nicht. Er kann auch sinnvoll und nützlich sein.

Du wirst gut sein in dem, was du tust

Ich habe so einen inneren Perfektionisten auch im Nacken sitzen. Von meinem ersten Arbeitstag als Sekretärin mit 19 Jahren an wollte ich alles richtig machen. Das wollen die meisten, nehme ich an. Nur dass meine Messlatte, wann etwas „richtig“ war, so hoch hing, dass ich sie kaum erreichte. Meine Briefe – anfangs noch mit einer Kugelkopfschreibmaschine getippt – schrieb ich so oft, bis sie fehlerfrei waren. Mit Tippex arbeiten? Kam nur bei großer Zeitnot infrage, denn das sah schlampig aus, wie ich fand. Was sollten die anderen da denken!

Ich schrieb also vermutlich dreimal so viel Text auf meiner Schreibmaschine als andere Sekretärinnen. Der Effekt? Ich wurde gut darin! Bis heute bin ich froh, dass ich wirklich schnell und weitgehend fehlerfrei tippen kann, auch wenn ich natürlich jetzt eine Korrekturtaste habe. Es hilft mir heute, mich beim Schreiben ausschließlich aufs Denken zu konzentrieren, ohne dauernd Tippfehler korrigieren zu müssen. Und wenn die Lektorin weniger Fehler im Manuskript findet, kostet es mich auch weniger.

Er sorgt für Qualität und Seriosität

Was das Buchschreiben mit Perfektionisten im Nacken nicht unbedingt leichter macht. Bei meinen ersten Gehversuchen als Autorin tauchte er an ganz anderer Stelle auf. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass das gut genug ist, oder?“, krächzte er mir ins Ohr. Oder „Das interessiert doch keinen!“, „Du machst dich lächerlich damit, die Fachwelt wird dich in der Luft zerreißen“. Hilfe! Ein Manuskript für den Druck freizugeben war damit fast wie der letzte Gang zum Schafott. Schlaflose Nächte, tausend Überarbeitungen und immer noch nicht gut genug.

Ich verstehe gut, dass man sich in solchen Situationen schwertut, dem inneren Perfektionisten etwas Gutes abzugewinnen. Aber doch: Er sorgt dafür, dass wir am Ende wirklich gute Qualität abliefern. Bei mir heißt das, dass meine Leserinnen und Leser sicher sein können, dass ich alles sorgfältig recherchiert habe und mir ausgiebig den Kopf zerbrochen habe, welchen Nutzen mein Buch haben soll – und wie ich den auch mit meinen Worten herstelle. Ohne rauchendes Hirn gibt es kein gutes Buch.

Bei dir heißt das vielleicht: Als Koch machst du dir Sorgen, dass deine Gerichte nicht gut genug schmecken. Deshalb experimentierst du mehr als andere mit unterschiedlichem Werkzeug und tüftelst an Gewürzen – und findest trotzdem, dass es noch besser ginge. Als Marketingmensch sind deine Ideen vielleicht nie gut genug, weswegen du so lange Ideen spinnst, bis etwas wirklich Gutes rauskommt.

Als Projektleiterin perfektionierst du dein Koordinations- und Führungstalent und kniest dich rein in Ausbildungen und Erfahrungsaustausch am laufenden Band. Das bist du deinen Kunden schließlich schuldig. Als Unternehmensberater feilst du tagelang an Angeboten, überarbeitest fünfmal die Inhalte und bist besonders kreativ in Sachen optisches Erscheinungsbild – und schickst es an den schon sehnlich wartenden Kunden mit dem Gefühl, dass du vielleicht noch ein bisschen sorgfältiger hättest sein können.

Wie ein innerer Perfektionist entsteht

Perfektionismus ist ein Schutzmechanismus, der dich vor unfreundlichen Angriffen bewahren möchte. Indem er für bestmögliche Qualität sorgt, schützt er dich vor zu viel Kritik (die dich vermutlich wie ein Schlag in die Magengrube treffen würde, viel stärker als andere). Im Grunde meint er es auch dann gut, wenn er dich gar nicht erst beginnen oder etwas ewig nicht fertigstellen lässt: So lange dein Projekt nicht fertig ist, kann es auch niemand kritisieren! Prokrastination ist daher oft die Schwester des Perfektionisten.

Um dich zu schützen, deshalb ist er überhaupt erst entstanden. Vielleicht wurdest du als Kind nicht ausreichend wahrgenommen. Weil es für ein Kind aber überlebensnotwendig ist, gesehen und beachtet zu werden, strengt es sich besonders an. Nur eine Eins im Zeugnis ringt der Mutter ein anerkennendes Lächeln ab? Also wird das Kind alles dafür tun. Der Vater ist als Sportler zu oft nicht verfügbar, das Kind sehnt sich aber nach seiner Aufmerksamkeit? Also wird das Kind selbst zum Sportler, da erhofft es sich Chancen, endlich doch wahrgenommen zu werden. Kommt dir eines der Beispiele vertraut vor?

Vielleicht durftest du auch in bestimmten Bereichen nicht so sein, wie du gerne sein wolltest. Alles, was du getan hast, war nicht richtig. „Ich bin nicht gut genug“, lernt das Kind, und so beginnt die anstrengende Reise zu unerreichbaren 200-Prozent-Zielen.

Sei lieb zu deinem inneren Perfektionisten

Abgesehen davon, dass du zu viel Energie in deine Arbeit steckst, hat der Perfektionismus noch ein paar Nebeneffekte:

  • Indem du permanent deine Arbeit bewertest und sie nie gut genug ist, wertest du sie ab.
  • Und möglicherweise hast du ein Problem mit Lob und Anerkennung: Du schiebst sie schnell zur Seite, weil du doch weiß, dass da noch irgendwo ein Fehler drin steckt.

Was also tun? Ich plädiere dafür, dass du liebevoll mit dem Perfektionisten umgehst. Wie gesagt: Er meint es im Grunde nur gut mit dir. Er will dich ja schützen.

Mach dir seine gute Absicht bewusst und setze sie gezielt ein.

Weise ihm einen bestimmten Platz zu, an dem er sinnvoll tun kann, wofür er gut ist. Sorge dafür, dass er schweigt, wo er dich am Weiterkommen hindert. Ich schicke meinen beispielsweise bei all meinen Schreibarbeiten zuerst einmal raus zum Spielen. Dort soll er sich still beschäftigen, anstatt mir im Nacken zu sitzen und mir den Spaß am Schreiben zu verderben. So schreibe ich meinen ersten Textentwurf. Seinen Einsatz bekommt er später, und zwar beim Überarbeiten. Da ist es ja auch gut, wenn ich ihn machen lasse, denn dann weiß ich: Ich schaffe gute Qualitätsarbeit.

Wann der Text fertig ist, ist dann Verhandlungssache. An meinem inneren Verhandlungstisch: der Perfektionist, die Ungeduldige, die Realistin. Diese Verhandlungen können natürlich ganz schön tricky sein. Bei mir hat es eine Weile gedauert, bis ich mein Verhandlungsteam gut moderieren konnte. Doch mit jedem Mal wurde ich besser. Heute habe ich das gute Gefühl, gut mit meiner perfektionistischen Neigung umzugehen, ohne dass es mich stresst.

Frage dich: Woran erkenne ich, dass es gut genug ist?

Eine fiese Frage, ich weiß. Denn viele Aufgaben können gar nicht wirklich quantifiziert werden. Doch sie ist überaus wirksam, weil sie den Perfektionisten exakt an seiner Achillesferse erwischt. Versuche, für dich eine Antwort zu finden!

Überlege dir, wo er dir begegnet.

In welchen Bereichen, Situationen oder bei welchen Themen bist du besonders perfektionistisch? Du wirst feststellen, dass das nicht dein ganzes Leben durchdringst, sondern nur Teilbereiche. Halte dir das vor Augen, das entlastet ein wenig.

Schiebe Lob nicht einfach zur Seite

Wenn dich jemand lobt, kannst du getrost davon ausgehen, dass er einen Grund dafür sieht. Das heißt: Er sieht die Qualität in deiner Arbeit, die du selbst nicht so recht sehen kannst. Versuche, Lob nicht beiseite zu schieben. Halte stattdessen inne: Da findet jemand deine Arbeit gut! Und dann: Was könnte die Person konkret gut finden? Vielleicht hilft dir das, deine eigene Bewertung neu zu überdenken!

Erforsche die Entstehungsgeschichte deines perfektionistischen Zuges

Wie ist es dazu gekommen, dass du diesen anstrengenden Kerl in dir hast? Zu verstehen, wie er entstanden ist, entlastet auch sehr und hilft dir, besser mit ihm umzugehen. Diese Forschungsfrage ist vielleicht nicht so einfach, sie alleine zu beantworten – wende dich bei Bedarf an einen Coach. Wenn dieser Coach ich sein soll, dann freue ich mich, wenn du dich bei mir meldest!

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Wer hier schreibt

Ich bin Daniela Pucher, Autorin und Coach mit Sinn für den Eigensinn. Wenn ich nicht gerade anderen Autor*innen helfe, ihr Sachbuch zu schreiben, schreibe ich eigene Bücher. (www.daniela-pucher.at) Und seit Anfang 2024 schreibe ich hier über das bunte, fitte, sinnvolle Leben.

Dieses Magazin ist jedenfalls kein Ich-weiß-alles-und-sag-dir-wie’s-geht-Blog. Sondern eines, das dich inspirieren soll, dir Anregungen bietet oder dich auch einfach nur unterhält. Wenn ich dich bei deinen Lebensprojekten unterstützen soll – ich freue mich auf deine Nachricht!

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