Wäre die Autorin nicht Mariana Leky, wäre ich an diesem Buch achtlos vorbeigegangen. Ein Buch über Kummer? Hat man doch selbst immer wieder, da braucht man doch nicht noch über die Sorgen anderer Menschen lesen.
Doch Mariana Leky gehört zu meinen Lieblingsautorinnen. Entdeckt habe ich sie, als sie im Monatsfachmagazin Psychologie Heute zwischen 2017 und 2021 eine Kolumne mit dem vielversprechenden Titel „Lekys Aussichten“ schrieb. Ihre Geschichten – keine Fachbeiträge, sondern wunderschöne Literatur – handelten von Dingen, die Menschen so bewegen. Von ihrer ersten Geschichte „Flugangst hält uns in der Luft“ über „Das Liebes-Grundeinkommen“ bis zur letzten „Auf Wiedersehen, Frau Wiese!“ habe ich jede einzelne verschlungen. Die Ich-Erzählerin – man ahnt es – hat wohl viel mit der Autorin selbst gemeinsam, Aus einer Auswahl all dieser Kolumnen ist 2022 dieses bezaubernde Büchlein entstanden.
Menschen aller Art, die sich mal besser, mal schlechter durch den Alltag bewegen
Wir lernen Frau Wiese kennen, die nicht schlafen kann und die die Ich-Erzählerin in den Wald entführt, um ihr einen Menschen vorzustellen, den sie kürzlich getroffen hat.
„Kennen Sie das“, fragt sie mich, während sie ziemlich schnell die Landstraße herunterbrettert, „man sieht jemanden und weiß sofort, dass er einem immer gefehlt hat? Obwohl einem das gar nicht aufgefallen ist?“
Oder Herrn Pohl und seinen permanent zitternden Zwerkpinschermischling Lori. Herr Pohl ist ausnehmend höflich und hilfsbereit, nur in Sachen Platzangst braucht er selbst Hilfe und wendet sich an die Ich-Erzählerin. Die kennt sich aus.
„Mir leuchtet jede absonderliche Angst ein. Wenn man mir ein paar Minuten Zeit gibt, könnte ich umstandslos auch eine Angst vor Quittengelee oder Hutablagen nachvollziehen“, schreibt sie.
Wir lernen auch Onkel Ulrich kennen, einen pensionierten Psychoanalytiker mit dem Faible, Kafka zu zitieren. Lisa mit ihrem Liebeskummer, Frau Schwerter, die dringend entspannen muss. Oder auch Nachbar Günter, der selbst keinen Kummer hat, er bereitet ihn der Ich-Erzählerin. Ich bin sicher, es gibt viele Wieses und Pohls und Ulriche und Günters nicht nur im Leben der Protagonistin, sondern von uns allen.
Kummer, Trost und Superkraft: Der liebevolle Blick auf die Welt
Leky schreibt so behutsam, mit so liebevollem Blick auf die Alltagsprobleme der Menschen in ihrem Umfeld. Schon allein, dass sie nicht von menschlichen Problemen spricht, sondern von Kummer, diesem doch viel sanftern, etwas altmodischen Wort. Das sagt alles über die Sicht der Autorin. Oder dass sie dem Hündchen Lori, das zum ewigen Zittern verdammt ist, eine Superkraft zuschreibt.
„Seine Superkraft ist Angst. Wenn der zittert, bebt die ganze Welt“, lässt sie einen Jungen sagen.
Na wenn das nicht tröstlich ist! Angstvolle Menschen (oder Tieren) eine Superkraft zu verleihen, das muss man erst einmal weiterdenken, wo wir doch alle da und dort mit Ängsten konfrontiert sind. Ich habe Angst vor dem nächsten Schritt, also habe ich eine Superkraft! Umgekehrt kann man sich natürlich auch fragen, was all die Menschen mit viel Kraft und Macht denn eigentlich so treibt. Angst?
Mariana Leky greift diese Probleme auf, betrachtet sie, man spürt Betroffenheit und Anteilnahme, aber nie entsteht eine Schwere. Schlaflosigkeit, Liebeskummer, Traurigkeit, Abschied, Flugangst oder Sehnsüchte aller Art sind die Themen, die wir von dieser sanften, mitfühlenden Sicht der Ich-Erzählerin betrachten lernen.
In der Familie der Autorin, so liest man überall, gibt es überdurchschnittlich viele Psychologen und Psychoanalytiker. Ich würde sagen, auch als Schriftstellerin erfüllt sie das Ziel von Psychologen und Therapeuten: Sie lässt uns behutsam auf unsere eigenen Sorgen, unseren Kummer schauen und es wird uns ein bisschen leichter ums Herz.
Mariana Leky: Kummer aller Art. DuMont 2022
https://www.dumont-buchverlag.de/personen/mariana-leky-p-1622
Ich empfehle auch gern ihre weiteren Bücher: Die Herrenausstatterin oder Liebesperlen – und vor allem ihren Bestseller Was man von hier aus sehen kann, der sogar verfilmt wurde. Lauter Bücher, bei denen an einem trüben Tag die Sonne aufgeht.
Wer hier schreibt
Ich bin Daniela Pucher, Autorin und Coach mit Sinn für den Eigensinn. Wenn ich nicht gerade anderen Autor*innen helfe, ihr Sachbuch zu schreiben, schreibe ich eigene Bücher. (www.daniela-pucher.at) Und seit Anfang 2024 schreibe ich hier über das bunte Leben und darüber, wie man sein Leben sinnvoll gestalten kann.
Dieses Magazin ist jedenfalls kein Ich-weiß-alles-und-sag-dir-wie’s-geht-Blog. Sondern eines, das dich inspirieren soll, dir Anregungen bietet oder dich auch einfach nur unterhält. Wenn du mein Sinncoaching brauchst – ich freue mich auf deine Nachricht!
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