Es ist bald sechs Jahre her, da spülte uns das Leben ein Häuschen mit Garten ans Ufer. Mein Herzblatt und ich, beide Großstadtmenschen von Geburt an, waren im ersten Moment gar nicht sicher, was wir damit tun sollten. Verkaufen? Vermieten? Selbst drin wohnen? Letzteres bereitete vor allem mir ein wenig Kopfzerbrechen: Mein geliebtes Wien verlassen? Ich lebte sehr gern in der Großstadt mit all ihren Möglichkeiten. Allerdings bin ich auch mit ausreichend Naturverbundenheit sozialisiert worden.
Letztlich entschieden wir uns doch fürs Übersiedeln. Das Haus, so dachten wir, wäre ja nahe genug bei Wien, bloß 30 km von der Stadtgrenze entfernt. Wir räumten das Haus, renovierten es und zogen mit unseren sieben Sachen (naja, es waren etwa 100 Übersiedlungskartons) ein.
Aufgreifen, was einem das Leben anbietet
Es war uns schon klar, dass das eine tiefgreifende Veränderung für uns bedeuten würde, auch wenn wir beide unsere Jobs beibehalten konnten. Wir würden neue Menschen kennenlernen, regelmäßig mit der Bahn fahren, wir könnten besser Sport treiben, weil die Natur vor der Haustür war. Wir würden die Gegend erkunden und ein bisschen garteln lernen.
Doch nie im Leben hätten wir an das Ausmaß des neu zu Lernenden gedacht: Wie setzt man Bäume? Was ist zu tun, um einen Gemüsegarten anzulegen? Wie setzt sich ein Hochbeet zusammen? Was tun gegen Schildläuse? Auch das Haus war eine Challenge, nicht nur während der Renovierung: Was ist eine Hebepumpe? Wie macht man Feuer im Specksteinofen? Wusstest du, dass eine Photovoltaik dich nicht völlig autark sein lässt, weil du dafür eingekauften Strom brauchst? (Es sei denn, du hast eine entsprechende Batterie.) Für mich als Stadtpomeranze war das jedenfalls alles Neuland.
Wir lernten ohne Unterlass. Von Nachbarn, Freunden mit Garten, Handwerkern, Informationsstellen der Gemeinde, von Natur im Garten, einer Initiative zur Ökologisierung von Gärten. Auch Tante Google hilft uns oft auf die Sprünge. Unser aktuelles Lernfeld: alles über Zäune, Betonstiegen, Terrazzo und andere Außenbeläge. Dass es regionale Auflagen gibt über Mindesthöhe von Zäunen und Sichtdurchlässigkeit, war uns z. B. neu. Auch, dass jede Oberfläche die Hitze unterschiedlich stark speichert. Neuland an jeder Ecke!
Bewusstes und unbewusstes Lernen
Kann gut sein, dass ich dieses Wissen nie wieder brauchen werde. Ich bin mir auch sehr sicher: Wären wir in Wien geblieben, hätten wir all das bestimmt nie freiwillig gelernt. Aber so war es eben notwendig. Und es hat nicht einmal wehgetan ;-), weil mir während des Lernens gar nicht bewusst war, dass ich gerade eine Wissenslücke fülle.
Wenn wir über „lebenslanges Lernen“ reden, meinen wir meistens Weiterbildungen. Also ein bewusstes Entscheiden: Ich will jetzt Klavier spielen lernen. Ich will mein Englisch aufbessern. Für meinen Job will ich mich up to date halten und jährlich am Controller-Kongress teilnehmen. Es geht um konkrete Wünsche und konkrete Ziele, vielleicht auch berufliche Notwendigkeiten.
Lebenslang zu lernen betrifft also konkretes Wissen und Können, das wir für bestimmte Ziele brauchen. Es betrifft aber auch das große Feld der Persönlichkeitsentwicklung: Jede Reflexion – ob mit einem Coach, einer Therapeutin oder mit sich selbst – führt zu einer Selbsterkenntnis, und sei sie noch so klein. Lebenslang lernen wir aber auch tagtäglich an den großen und kleinen Herausforderungen unseres Lebens. Und das nicht zu knapp.
Alltägliches Lernen bewusst machen
Ist es nicht erstaunlich, wie vieles wir lernen, ohne dass wir bewusst in einen Lernprozess einsteigen? Wenn wir es genau betrachten, lernen wir unglaublich vieles quasi en passant: Auf dem Weg zur Arbeit gibt es eine Baustelle und wir lernen durch die Umleitung eine neue Gegend kennen. Nach mehreren Fehlversuchen in der Küche kapieren wir endlich, wie Bitterorangenmarmelade gut wird. Beim Treffen mit Freunden essen wir zum ersten Mal im Leben frische Artischocken. Die Kollegin erzählt von ihrem Urlaub in Indien, wo wir noch nie waren, und erfahren so etwas über das Verhältnis zwischen Buddhisten und Hinduisten.
Es braucht bloß ein bisschen mehr Aufmerksamkeit, mit der man durch die Welt geht. Ich persönlich bin ja kein großer Fan von Listen, sonst würde ich vorschlagen, dass du und ich ab sofort täglich ein Büchlein mitführen, in dem wir alles aufschreiben, was wir gerade gelernt haben. Jede Kleinigkeit. Du kannst das natürlich gern aufgreifen. Ich wette, du wirst nie wieder sagen, dass du in deinem Alter nichts mehr lernen kannst!
(Beitragsbild: pixabay_pen_ash)